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Megatrends mit hoher Relevanz für die Raumentwicklung und Raumordnung

Wandel findet statt!

Megatrends bezeichnen Entwicklungen von globaler und langfristiger Bedeutung, die nicht von einzelnen Ländern, Regionen oder Gemeinden verändert werden können. Megatrends zu beeinflussen oder in eine bestimmte Richtung zu lenken, erfordert ein Handeln der Vielen, also letztlich globale Abstimmung und konzertierte Umsetzung auf allen Ebenen.

Gelingt das nicht oder sind die Entwicklungen unvermeidlich (z.B. technische Neuerungen, irreversible Entwicklungen), geht es um bestmögliche Anpassung, also um das Vermeiden von Risiken oder die Nutzung von Chancen. 

Obwohl Megatrends umfassend wirksam und unumkehrbar sind, können sie dennoch Gegenbewegungen erzeugen, die neue Märkte entstehen lassen, zu neuen Verhaltensmustern oder Produktwelten führen. 

Im Folgenden werden jene Megatrends im Überblick dargestellt, die das Raumverhalten von Einzelpersonen, Haushalten und Unternehmen und damit die Raumstruktur und die Raumentwicklung besonders beeinflussen. Dafür müssen Antworten durch die Raumentwicklungs- und Raumordnungspolitik gefunden werden.

Klimawandel und Klimakrise

3.1

Seit Beginn des industriellen Zeitalters ist die Konzentration von CO2 in der Atmosphäre um ca. 44 % gestiegen. „Die Welt hat Fieber“, das ohne Gegenmaßnahmen dramatisch ansteigen könnte. Klimamodelle zeigen, dass bis zum Jahr 2100 ein durchschnittlicher Temperaturanstieg um bis zu 4,5 °C eintreten könnte.

Klimaszenarien bis 2100

Veränderung der globalen durchschnittlichen Oberflächentemperatur im Vergleich zu 1986–2005

Der Klimawandel wirkt global, langfristig und ist mittlerweile teilweise irreversibel. Es geht nun um die Begrenzung des Temperaturanstiegs.

„Aus externer Sicht hat mich vor allem beeindruckt, wie umfangreich, intensiv, ernsthaft und hoch qualifiziert von allen Beteiligten an dem Prozess zur Erarbeitung des ÖREK mitgewirkt wurde. Und wie breit das Spektrum der Beteiligten auch jenseits der Planungs-Community war. Ein Vorbild für andere Staaten!”

Rainer Danielzyk, Geograf, ARL Hannover

Die räumliche Verteilung sowohl der Verursacher:innen als auch der Konsequenzen ist sehr unterschiedlich. Österreich als entwickelte Industrienation trägt pro Kopf unverhältnismäßig stark zur Klimakrise bei, ist jedoch auch besonders stark betroffen. Einerseits manifestiert sich die Erwärmung in Österreich als Binnenland stärker als im globalen Durchschnitt, zum anderen erhöht die Topografie eines Alpenlandes die Schadensanfälligkeit und Verwundbarkeit. Die Risiken durch Naturgefahren sind besonders hoch und die wirtschaftliche Betroffenheit ist vor allem im Wintertourismus sehr ausgeprägt. Der Temperaturanstieg seit dem späten 19. Jahrhundert um 2° C wirkt sich bereits heute auf die alpine Umwelt und die im Alpenraum lebende Bevölkerung aus. Zudem ist die regionale Produktion hochwertiger Lebensmittel durch die klimawandelbedingte Zunahme von lokalen Starkniederschlägen, Trockenheit und der Verschiebung der Niederschlagsmuster massiv gefährdet. Die Städte sind durch Überhitzungserscheinungen und der damit verbundenen Gesundheitsgefährdungen stark betroffen.

Das ÖREK 2030 steht daher ganz im Zeichen der Bekämpfung der Klimakrise und der notwendigen Klimawandelanpassung zur Verringerung der Risiken mit den Instrumenten der Raumentwicklung und Raumordnung. Dazu zählen zum Beispiel eine engere Abstimmung von Raumordnungs- und Mobilitätsmaßnahmen, der Schutz von Grün- und Freiräumen oder die Begrenzung der Naturgefahren durch eine präventive Raumplanung. Das ÖREK steht aber auch für die Nutzung neuer regionaler Wertschöpfung durch Innovationen bei Vermeidungs- und Anpassungsmaßnahmen oder neuen touristischen Potenzialen.

Digitalisierung

3.2

Bereits 28 % des Wirtschaftswachstums in Österreich wird auf die Branchen der Informations- und Kommunikationstechnologien zurückgeführt (WIFO 2019). Die Versorgung mit leistungsfähiger digitaler Infrastruktur wurde Teil der Daseinsvorsorge wie früher das Telefonnetz. Digitale Infrastruktur entscheidet über die Standortqualität für Haushalte und Betriebe besonders in der Entwicklungs- und Ausbauphase. Die Befähigung der Bevölkerung zur Nutzung der neuen Technologie wird zu einer wichtigen Frage für den gerechten Zugang zu Lebenschancen. Eine marktgetriebene Einführung des Breitbands begünstigt aus Rentabilitätsgründen Gebiete mit hohem Nachfragepotenzial. Gebiete ohne ausreichendes Nachfragepotenzial benötigen das Engagement der öffentlichen Hand.

Die Digitalisierung ist mit umfassenden, aber noch schwer abschätzbaren räumlichen Wirkungen verbunden. Digitale Dienste könnten der Daseinsvorsorge neue Impulse geben. Die virtuelle Vernetzung könnte zu Veränderungen im Mobilitätsverhalten führen, multilokale Lebensformen („Digital Sprawl“) könnten gestärkt werden. Eine Zunahme von Leerständen durch die Schließung großflächiger Einkaufszentren als Folge des wachsenden Online-Handels sind wahrscheinlich. Gleichzeitig kann mit einer wachsenden Nachfrage nach flächenintensiven Logistikzentren gerechnet werden. Big Data wirft die Frage nach dem Zugang zu Daten für die planenden Institutionen auf. Offen ist auch, welche Strukturveränderungen in städtischen und ländlichen Räumen zu erwarten sind, ob die Entwicklung eher städtische oder ländliche Räume bevorzugt oder neutral bleibt.

Bereits ersichtliche Gegentrends wie die neue Wertschätzung von Handarbeit, persönlichen Dienstleistungen oder „Live“-Erlebnissen bieten gleichzeitig neue Chancen für die Regionalentwicklung. Im ÖREK wird die Digitalisierung mit ihren Konsequenzen als Querschnittsthema behandelt.

Globalisierung

3.3

Die Globalisierung bezeichnet zunehmende transnationale Personen-, Waren-, Dienstleistungs-, Finanz- und Informationsströme, das Entstehen weltumspannender Konzerne und wachsende wechselseitige Wirkungszusammenhänge und Abhängigkeiten. Die Globalisierung ist ein menscheitsgeschichtlicher Prozess, der durch eine Vielzahl an Faktoren angetrieben wird. Dazu zählen der technischen Fortschritt der Verkehrs- und Kommunikationssysteme, ausreichend verfügbare billige Energie, der Abbau von Handelshemmnissen, unterschiedliche Arbeitskosten, fehlende Kostenwahrheit im Transport oder der durch Wohlstand wachsende Tourismus. Angesichts zahlreicher technischer, sozialer und institutioneller Innovationen hat seit Beginn der industriellen Revolution ein Globalisierungsschub stattgefunden, der sich in den letzten 30 Jahren nochmals beschleunigt hat. Der Median des Globalisierungsindex (misst das Ausmaß der Globalisierung) ist von 1990 bis 2016 von 44 Punkten auf 64 Punkte gestiegen (Bertelsmannstiftung 2018). Österreich weist einen hohen Globalisierungsgrad auf und liegt am 7. Platz von 42 Ländern, die 90 % der Weltwirtschaftsleistung erbringen. Österreichs Globalisierungsindex ist von 1990–2016 stark gewachsen (von 64,3 auf 75,5). Österreich profitiert überdurchschnittlich bei Wachstums- und Einkommenszuwächsen (Rang 13 von 42 Ländern). Den Globalisierungsgewinner:innen stehen aber auch Verlierer:innen gegenüber. In einzelnen Branchen, aber auch Regionen verlieren Betriebe an Konkurrenzfähigkeit, gehen Arbeitsplätze verloren oder stehen Erträge und Einkommen unter Druck.

Bereits die Wirtschafts- und Finanzkrise 2008, verstärkt nochmals die Covid-19-Pandemie 2020, haben vor Augen geführt, dass sich Österreich als export- und tourismusorientiertes Land der Globalisierung nicht entziehen kann. Das gilt noch viel stärker für die Klimakrise als große globale Herausforderung. 

Es ist offen, in welchem Ausmaß die Covid-19-Pandemie die Globalisierung bremsen wird, wie lange es dauern wird bis sich die Tourismusströme wieder frei entfalten und ob die Erzeugung kritischer Produkte wieder in einem höheren Maß regional erfolgen wird. Aber Regionalisierung hat sich als Gegentrend zur Globalisierung bereits vor der Pandemie etabliert. Für die regionalwirtschaftliche Entwicklung ergeben sich vor allem durch die Konzentration auf eine verstärkte Kreislaufwirtschaft mit qualitätsorientierten Wertschöpfungsketten neue Chancen.

Die regionale Standortentwicklung im globalen und europäischen Kontext ist ein zentrales Thema des ÖREK 2030.

Demografischer Wandel

3.4

Ein wesentliches Element des demografischen Wandels bildet die Migration. Die Bevölkerung Österreichs ist in den letzten Jahren dynamisch gewachsen. Diese Zunahme ist in erster Linie auf die positive Wanderungsbilanz mit dem Ausland zurückzuführen. Auch Regionen mit Bevölkerungsrückgang weisen eine Zuwanderung aus dem Ausland aus. Diese kompensiert zumindest teilweise den Rückgang durch negative Geburtenraten und negative Binnenwanderungsbilanzen. Die vorliegenden Prognosen gehen von einer Fortsetzung dieser Entwicklung aus.

Der demografische Wandel wird auch durch regionale Verschiebungen geprägt, die zu Wachstums- und Rückgangsregionen geführt haben. Ein großer Teil der politischen Bezirke in Österreich ist von Bevölkerungsrückgängen insgesamt oder zumindest in Teilregionen betroffen. Hauptgründe dafür sind negative Geburtenraten und Binnenwanderungsbilanzen. In den städtischen Agglomerationen hat hingegen eine durchgängige Bevölkerungszunahme vor allem durch Zuwanderung stattgefunden. Auch hier weisen die Prognosen darauf hin, dass sich ohne Gegensteuerung die Entwicklung fortsetzen wird.

Schließlich zeigt sich der demografische Wandel in einer Veränderung der Altersstruktur. Die Zahl der Personen in den jungen, besonders aber in den älteren Bevölkerungsgruppen wachsen, während die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter abnimmt. Diese Verschiebungen in der Altersstruktur sind in den österreichischen Regionen unterschiedlich stark ausgeprägt. Besonders ländliche Regionen sind mit einem starken Rückgang an erwerbsfähiger Bevölkerung konfrontiert.

Da die ÖROK-Bevölkerungsprognosen erwarten lassen, dass sich der demografische Wandel fortsetzen wird, bleibt dieses Thema auch für die Raumentwicklung und damit für das ÖREK 2030 höchst relevant.

Gesellschaftlicher Wandel und Multilokalität

3.5

Der gesellschaftliche Wandel äußert sich in einer zunehmenden Individualisierung von Lebensentwürfen, einer Zersplitterung der Gesellschaft in soziale Milieus, in veränderten Geschlechterrollen und Altenbildern. Er zeigt sich in häufigeren Orts- und Berufswechseln, nicht mehr planbaren Berufskarrieren und einer größeren Vielfalt an Haushalts-, Familien- und Lebensformen. Die Aktivitäten der Menschen werden zeitlich und räumlich flexibler.

Der gesellschaftliche Wandel geht einher mit der Entwicklung von mobilen Lebensformen mit stabilen, aber auch temporären Ankerpunkten. Immer mehr Menschen führen ein Leben an mehreren Wohn- und Arbeitsstandorten. Eine repräsentative Erhebung in der Schweiz hat gezeigt, dass bereits 50 % der Bevölkerung multilokal lebt oder zumindest bereits multilokale Lebenserfahrung hat (Schad 2015). Für Österreich sind ähnliche Größenordnungen anzunehmen. Es wird erwartet, dass die Zahl der multilokalen Personen weiter zunimmt. Damit verbunden sind unterschiedliche Ansprüche an den Raum, wie zum Beispiel die Auseinandersetzung um Zweit- und Freizeitwohnsitze zeigt.

Insgesamt entsteht eine heterogenere Gesellschaft. Daraus resultieren schwierigere Planungs- und Entscheidungsprozesse sowie Herausforderungen für die Aufrechterhaltung des räumlichen und sozialen Zusammenhalts.

Bei aller Fragmentierung ist der gesellschaftliche Wandel aber auch mit dem Bedürfnis nach Nähe, nach Gemeinwesen, öffentlichen Räumen, Teilhabe und Mitwirkung verbunden.

Der gesellschaftliche Wandel bietet für die Raumentwicklung Chancen und Risiken. Das ÖREK 2030 versucht darauf Antworten zu geben.

Wissensgesellschaft

3.6

Die moderne Wirtschaft ist innovationsgetrieben. Der technische Fortschritt, insbesondere Mechanisierung und Automatisierung, treiben den wirtschaftlichen Strukturwandel von einer landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft zu einer Industrie- und in den letzten Jahrzehnten zu einer Dienstleistungsgesellschaft voran. Der globale Wettbewerb mit Ländern und Standorten mit deutlich niedrigeren Lohnkosten erfordert in Österreich eine Konzentration auf innovations- und wissensbasierte „High-Tech“-Wirtschaftszweige.

Österreich ist es gelungen, sich als hochproduktiver und innovativer Industriestandort mit einer hohen F & E-Quote zu behaupten. Die Zahl der Beschäftigten in den wissensorientierten Branchen haben stark zugenommen. Eine gute maßgeschneiderte Ausbildung, qualifiziertere Lehr- und Studienabschlüsse, lebenslange Weiterbildung, Investitionen in Forschung und Entwicklung sind die Lebensversicherung für Hochlohnstandorte wie Österreich. 

Die verstärkte Orientierung der Wirtschaft auf High-Tech-Produktion und wissensbasierte Dienstleistungen ist gleichzeitig mit einem wachsenden Bedarf an qualifizierten persönlichen Dienstleistungen verbunden: Kinderbetreuung, Gesundheitsdienste, Rehabilitation, Altenbetreuung und Pflege, Coaching, Beratung, Psychotherapie, Körperarbeit, Gastronomie und Animation in Freizeit und Urlaub gehören dazu. Diese unter „High-Touch“ zusammengefassten Dienste stellen ein wachstumsorientiertes Segment der Wirtschaft dar. 

Auch die technischen Anforderungen bei der Installation und Wartung technischer Umgebungen (erneuerbare Energien, elektronische Geräte, energieeffiziente Häuser etc.) verlangen die Kombination von guter handwerklicher Ausbildung mit hoher Lernbereitschaft und Lösungsorientierung. Qualifizierte Facharbeit ist daher ein wesentlicher Bestandteil der innovationsorientierten Wissensgesellschaft (High-Skills).

Das ÖREK 2030 legt besonderes Augenmerk auf die Entwicklung der räumlichen Rahmenbedingungen für eine wissens- und innovationsorientierte Wirtschaft und Gesellschaft.

Urbanisierung und Suburbanisierung

3.7

Der gesellschaftliche Wandel, der Wandel hin zu einer innovationsorientierten Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft geht mit einem Urbanisierungsprozess einher, der mit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert begonnen hat. Auch die Urbanisierung ist ein globales Phänomen.

Bis 2050 wird erwartet, dass die Bevölkerung in Städten mit mehr als 50.000 Einwohner:innen in Österreich um 20 % zunehmen wird. Für alle anderen Gebiete in Österreich wird im Vergleich dazu nur ein Zuwachs um 5 % prognostiziert (Statistik Austria 2019).

Das erzeugt in den Städten Handlungsdruck in Richtung Wohnungsbau, Ausbau leistungsfähiger Infrastrukturen für umwelt- und klimaverträgliche Verkehrsarten, Erhalt und Schaffung von qualitätsvollen Freiräumen, nachhaltigem Ressourceneinsatz, aber auch in Richtung Gemeinwesenarbeit, Organisation von Teilhabe und Engagement. 

Die Urbanisierung war in den letzten Jahrzehnten mit einer Suburbanisierung verbunden, die die Vorteile der kompakten Städte mit kurzen Wegen, einer flächensparenden Bebauungsstruktur und einer effizienten Versorgung mit Infrastrukturen nicht bieten. Für die Erreichung der Klimaschutzziele und für einen sparsamen Umgang mit Boden kommt der gewachsenen europäischen Stadt eine neue Bedeutung zu.

Sowohl die nachhaltige Gestaltung der Urbanisierungsprozesse als auch die Stärkung der Entwicklungspotenziale und der Lebensqualität in den ländlichen Räumen werden die Raumentwicklung in den nächsten Jahren verstärkt beschäftigen. Für das ÖREK 2030 steht die Gestaltung des funktionsräumlichen Zusammenwirkens zwischen städtischen und ländlichen Räumen als wichtiger Faktor für den räumlichen Zusammenhalt im Vordergrund.

Steigender Energiebedarf

3.8

Die aktuelle Prognose der Internationalen Energieagentur (IEA 2019) erwartet einen weiter steigenden globalen Energiebedarf aus (+30 % bis 2040). Für Österreich wird von einer Zunahme des Endenergieverbrauchs inklusive Energieeffizenzmaßnahmen bis 2040 um 7 % ausgegangen (BMNT 2019a). Besonders stark steigen wird der Stromverbrauch, der in Österreich bis 2040 um 20 % wachsen dürfte (BMNT 2019a). Das ist einer zunehmenden Elektrifizierung der Wirtschaft, der Haushalte und der Mobilität geschuldet. Die Digitalisierung erfordert einen hohen Strombedarf. Automatisierung, Roboterisierung, das Internet oder Cryptowährungen sind Stromfresser ersten Ranges. Gleichzeitig muss aber die fossile Produktion von Energie zur Abbremsung des Klimawandels drastisch gekürzt und der Umstieg in eine dekarbonisierte Wirtschaft und Gesellschaft gestaltet werden. Damit die Dekarbonisierung gelingen kann, muss zusätzlich zur Steigerung der Energieeffizienz die Stromproduktion aus erneuerbaren Energieträgern massiv gesteigert werden: Wasserkraft +19 %, Biomasse +20 %, Windkraft +220 %, Photovoltaik +400 % (Integrierter nationaler Energie- und Klimaplan für Österreich 2021–2030). Durch die Festlegung noch ambitionierterer Ziele durch die EU und die Bundesregierung wird der Ausbaubedarf noch weiter erhöht.

Für die Raumentwicklung und Raumordnung ist der steigende Energiebedarf bei gleichzeitiger Umstellung auf erneuerbare Energieträger mit außerordentlichen Herausforderungen, aber auch mit großen wirtschaftlichen Chancen vor allem für ländliche Regionen verbunden. Die Abwägung zwischen der notwendigen Energiewende und den Anliegen der Anrainer:innen, der Lebensmittelproduktion sowie des Natur- und Landschaftsschutzes erfordert die Aushandlung von tragfähigen Lösungen. Deren Entwicklung wird die Raumentwicklung und Raumordnung unter anderem auch im Zuge einer Energieraumplanung in den nächsten Jahren stark fordern. Das ÖREK 2030 gibt dafür eine Orientierung.

Trends im Raumverhalten von Personen, Haushalten und Unternehmen

3.9

Raumverhalten umfasst die langfristigen, periodischen und kurzfristigen Entscheidungen, die Personen und Haushalte hinsichtlich ihrer Wohn-, Arbeits-, Einkaufs- und Freizeitorte treffen und wie Unternehmen ihren Betriebsstandort und ihre Beschaffungs- und Absatzmärkte suchen.

Die Standortentscheidungen lösen wiederum Mobilität, Transporte und Kommunikation zwischen den Standorten aus. Jede Einzelentscheidung durchläuft komplexe Auswahlprozesse, die wiederum eingebettet sind in eine Vielzahl an begrenzenden Rahmenbedingungen. Dazu zählen technologische Möglichkeiten (Verkehr, Transport, Nachrichtenübertragung, Energieverfügbarkeit etc.) genauso wie Preise und Kosten (Bodenpreise, Transportkosten, Transaktionskosten) oder rechtliche und fiskalische Rahmenbedingungen. 

Die Raumplanung und Raumordnung hat ebenso wie die Verkehrsplanung die Aufgabe, das Raumverhalten gemeinwohlorientiert zu steuern. Gleichzeitig werden ihre Möglichkeiten durch demokratische Prozesse, Marktprozesse oder Interessenvertretungen beeinflusst. Es ist daher wichtig, die Trends des Raumverhaltens zu beobachten und die Entwicklungen abzuschätzen, um wohlüberlegte und gut begründete Ziele und Maßnahmen festlegen zu können.

Die Gründe für das Raumverhalten der unterschiedlichen Akteur:innen sind Veränderungen unterworfen. Diese Veränderungen resultieren vielfach aus den beschriebenen Megatrends, die mit neuen Optionen, aber auch Einschränkungen verbunden sind. 

Im Folgenden wird eine Einschätzung von Expert:innen vorgenommen, wie sich das Raumverhalten unterschiedlicher Gruppen von Akteur:innen entwickeln könnte. 

Akteur:innen

Wahrscheinliches Verhalten

Betroffene Regionstypen /
Standorträume

Arbeitskräfte

Arbeitskräfte gehen dorthin, wo die besten Karrierechancen, Einkommens- und Auswahlmöglichkeiten bestehen

Große und kleine Stadtregionen, regionale Verdichtungsräume, Achsenräume, Tourismusregionen als bevorzugte Zielstandorte

Wohnungssuchende inklusive Zuwander:innen aus dem Ausland

Wohnungssuchende wollen Standorte, wo Erreichbarkeit von Arbeitsplatz, Ausbildungsort, soziale und kulturelle Community für den gesamten Haushalt und die jeweilige Lebensphase am besten mit Lebensqualität kombinierbar und die Wohnungskosten finanzierbar sind

Große und kleine Stadtregionen, regionale Verdichtungsräume, ländliche Standorte mit günstigen Bodenpreisen und guter Erreichbarkeit als bevorzugte Zielstandorte

Auszubildende

Auszubildende gehen dorthin, wo das Ausbildungsangebot hoch ist und/oder besondere Qualifikationen erworben werden können

Zentren der größeren und kleineren Stadtregionen und Standortgemeinden für Ausbildungsangebote (Universitätsstädte, Fachhochschulstandorte, Schulzentren) als Zielstandorte

Freizeit- und Nebenwohnsitzsuchende

Freizeit- und Nebenwohnsitzsuchende fragen Standorte mit spezifischen oder vielfältigen landschaftlichen, kulturellen, sportlichen und gastronomischen Qualitäten nach

Regionen mit Bevölkerungsrückgang, Tourismusregionen mit sanften Tourismus, Tourismusregionen mit hohem Image als Zweitwohnsitzorte als bevorzugte Zieldestinationen

Tourist:innen, Tagesgäste, Ausflugstourist:innen

Tourist:innen, Tagesgäste und Ausflügler:innen suchen nach Destinationen mit spezifischen oder vielfältigen landschaftlichen, kulturellen, sportlichen und gastronomischen Qualitäten

Tourismusregionen mit hoher Dichte an touristischen Angeboten sowie landschaftlich und baukulturell attraktive Gebiete als bevorzugte Zieldestinationen

Globale agierende Produktionsunternehmen mit Bedarf an hochqualifizierten Mitarbeiter:innen

Für den Weltmarkt produzierende Industrieunternehmen brauchen ein branchenspezifisch qualifiziertes Arbeitskräfteangebot, Grundstücke mit Expansionsmöglichkeiten und gute infrastrukturelle Erschließung

Achsenräume, Stadtregionsgemeinden, ländliche Räume mit guter infrastruktureller Ausstattung 

Gewerbliche Betriebe mit hohem ökologischen Qualitätsanspruch

Gewerbliche Betriebe mit hohem ökologischen Qualitätsanspruch und Einbettung in regionale Wert-schöpfungsketten brauchen Nähe zu den Rohstoffquellen

Kleinere Stadtregionen und regionale Verdichtungsräume und Achsenräume, ländliche Räume als bevorzugte Standorträume

Wissensorientierte Dienstleistungsunternehmen

Wissensorientierte Dienstleistungsunternehmen suchen Standorte mit räumlicher Nähe zu Partner:innen, Kund:innen, bester IT-Infrastruktur

Zentren der größeren und kleineren Stadtregionen als bevorzugte Standorträume

Innovationsorientierte Start Ups

Innovationsorientierte Unternehmen, Start Ups, hochqualifizierte Forscher:innen suchen Standorte mit innovativen Milieus

Zentren der größeren und kleineren Stadtregionen, Herkunftsorte von zur Ausbildung abgewanderten Gründer:innen als bevorzugte Standorte

Spezialisierte wachstumsorientierte Unternehmen

Spezialisierte Unternehmen bevorzugen Standorte mit hoher Lebensqualität und hochwertiger Internet-/Breitbandversorgung

Größere und kleinere Stadtregionen, regionale Verdichtungsräume, Achsenräume als bevorzugte Standorträume

Logistikunternehmen

Logistikunternehmen suchen Standorte an hochrangiger Infrastruktur

Achsenräume als bevorzugte Standorträume

Einkaufszentren (EKZ)-Entwickler:innen

EKZ-Entwickler:innen bauen bestehende, schlechter ausgelastete Standorte etwa zu Infotainmentcentern um und schließen schlechte Standorte

Zentren von größeren und kleineren Stadtregionen, weniger gute Lagen ohne Agglomerationseffekte z.B. in Achsenräumen  durch Schließung von Standorten

Private Anbieter:innen von Dienstleistungen der Daseinsvorsorge

Dienste der Daseinsvorsorge werden in regionalen Zentren und an regionalen Qualitätsstandorten gebündelt

Regionale und kleinregionale Zentren als Standorte, kleine Dörfer und Siedlungen durch Schließung von Standorten

Anbieter:innen von Gütern des langfristigen Bedarfs

Die Anbieter:innen etablieren Showrooms an hochwertigen Standorten mit guter Erschließung durch Straßen und öffentlichen Verkehr und bieten wieder innerstädtische Standorte an

Zentren der größeren und kleineren Stadtregionen, Achsenräume als Standorträume

Büroimmobilienentwickler:innen

Büroimmobilienentwickler:innen suchen Standorte mit hoher Nachfrage an Dienstleistungsarbeitsplätzen und guter Erschließung durch öffentlichen Verkehr

Größere Stadtregionen, Achsenräume als bevorzugte Standorträume

Tourismusbetriebe

Tourismusbetriebe bevorzugen Standorte mit zweisaisonaler Nach-frage und vielfältigen Koppelungs-möglichkeiten zu Ausflugs-, Wellness-, Erholungs- oder Seminartourismus

Zentren der Stadtregionen, Tourismusregionen, ländliche Regionen mit attraktiven Landschafts-, Kultur- und Gastronomieangeboten als bevorzugte Standorträume

Private Tourismusanbieter:innen

Private Tourismusanbieter:innen stellen ihre privaten Räumlichkeiten (Zimmer, Apartments und Wohnungen) großteils über Plattformen auf den Markt zur Verfügung

Zentren der Stadtregionen, Tourismusregionen, ländliche Regionen mit attraktiven Landschafts-, (Bau-)Kultur- und Gastronomie-angeboten

Energieproduzent:innen

Energieproduzent:innen suchen Standorte und Flächen für erneuerbare Energieproduktion

Ländliche Regionen, Regionen mit geringer Bevölkerungsdichte als Standorträume

Finanzdienstleister:innen

Finanzdienstleister:innen brauchen Flughafennähe, Börsenstandorte, höchste digitale Qualitäten und suchen Standorte mit hoher Lebensqualität

Große Stadtregionen als bevorzugte Standorträume

Aus der Entwicklung des Raumverhaltens lassen sich folgende große Trends erkennen:

Bereits sichtbare Entwicklungen werden verstärkt:

  • der Zuzug von Wohnungssuchenden, Arbeitskräften, Auszubildenden, wissens- und innovationsorientierten Unternehmen in Stadtregionen und regionale Verdichtungsräume und die damit verbundene Verteuerung des Wohnraums;
  • eine anhaltende Nachfrage nach Wohnstandorten in Stadtrand- und Stadtumlandgebieten auch als Folge der Covid-19-Pandemie und die damit verbundene Steigerung des Verkehrsaufkommens;
  • die Nachfrage nach Standorten entlang hochrangiger Infrastruktur von flächenintensiven Produktionsunternehmen sowie Logistikdienstleistern;
  • zumindest zeitweilige Abwanderungen aus Ausbildungs- und Karrieregründen aus ländlichen Regionen, die vielfach bereits jetzt schon von Bevölkerungsrückgang betroffen sind;
  • die Nachfrage nach Zweit- und Freizeitwohnsitzen in baukulturell und landschaftlich attraktiven Räumen sowie Tourismusregionen mit hoher Angebotsdichte und hohem Image;
  • die Umnutzung von Wohnungen für touristische Zwecke vor allem in Städten und Tourismusorten, wenn sich die Situation nach der Überwindung der Covid-19-Pandemie wieder normalisiert;
  • das An- und Abschwellen der Bevölkerungszahl in den Regionen mit hoher Tourismusintensität durch Saisonarbeitskräfte.

Neue Entwicklungen zeichnen sich ab:

  • Schließung oder Neunutzung von Einkaufszentren;
  • Rückkehr von Dienstleistungen in Stadt- und Ortszentren;
  • Umnutzungen von Büros , falls sich die pandemiebedingte Homeoffice-Arbeit als dauerhaftes Phänomen erweist;
  • Umnutzung von touristischen Appartements/Zimmern für (Zweit-)Wohnnutzungen;
  • tageweise oder dauerhafte Auslagerung von Arbeitsplätzen in den Wohnbereich;
  • verstärkte Nutzung von Zweit- und Freizeitwohnsitzen als Arbeitsorte (Homeoffice);
  • Nachfrage nach Flächen für die Energieproduktion mit erneuerbaren Energieträger;
  • Chancen für ländliche Regionen als Standorte für regionale und lokale Ressourcen;
  • neue regionale Disparitäten durch die Versorgung mit Breitbandinfrastruktur.

Die abgeschätzten Trends sind weder in der Richtung noch im Ausmaß als unausweichliche Entwicklungen anzusehen. Es geht vielmehr darum, Ansatzpunkte zu erkennen, wie das Raumverhalten verschiedener Gruppen im Sinne der räumlichen Grundsätze und Ziele beeinflusst und gelenkt werden kann und sollte. Es ist außerdem davon auszugehen, dass gerade als Folge der Covid-19-Pandemie neue Muster des Raumverhaltens entstehen und nachhaltig bestehen bleiben könnten.