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Orts- und Stadtkerne stärken sowie Raum für Baukultur eröffnen 

PUNKT 3

Orts- und Stadtkerne sind die Kernelemente eines Netzes von Zentren unterschiedlicher Größe (internationale Zentren, Mittel- und Kleinzentren). Sie sind Ankerpunkte der regionalen und lokalen Versorgung. Orts- und Stadtkerne waren immer die vitalen Mittelpunkte des öffentlichen Lebens, in denen die zentralen Funktionen der Daseinsvorsorge gebündelt und auf kurzen Wegen erreichbar waren. Sie sind damit ein wichtiger Pfeiler einer nachhaltigen Raumentwicklung. Mit der Motorisierung und zuletzt der Digitalisierung wurde ein tiefgreifender Wandel ausgelöst, der die Funktionsfähigkeit der Orts- und Stadtkerne gefährdet. So kauften 2020 bereits zwei Drittel der Österreicher:innen im Internet ein. Der Online-Handel hat durch die Covid-19-Pandemie einen weiteren Beschleunigungsschub erhalten. Während der Versand- und Internethandel seinen Umsatz 2020 um fast 20 % steigern konnte, ist der Umsatz im stationären Handel eingebrochen (z.B. Bekleidung/Schuhe um 22 %, Statistik Austria 2021). Bereits vor der Covid-19-Pandemie waren Orts- und Stadtkerne von Funktionsverlusten betroffen, weil Einkaufs- und Fachmarktzentren Kaufkraft und Frequenzen aus den Zentren abgesaugt haben. Leerstehende Geschäftslokale, Verluste in der Gastronomie, damit verbundene Einnahmenausfälle für Hausbesitzer:innen und fehlende Mittel für die Gebäudesanierung bedrohen die Vitalität, Funktionsfähigkeit und Substanz der Orts- und Stadtzentren. Vitale und funktionsfähige Orts- und Stadtkerne leisten aber einen wichtigen Beitrag zum Flächensparen, zum ressourcenschonenden Umgang mit der bestehenden Bausubstanz, zu kurzen Wegen und damit einer Reduktion des Pkw-Verkehrs und der Erreichung der Klimaziele. Die Erhaltung der Orts- und Stadtzentren als wichtiger Teil des baukulturellen Erbes ist in zahlreichen internationalen Dokumenten wie im Ziel 11 der Agenda für eine nachhaltige Entwicklung der UNO, der UNESCO-Empfehlung zur historischen Stadtlandschaft oder der Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt verankert. Aber auch in nationalen Dokumenten wie insbesondere im Dritten und Vierten Österreichischen Baukulturreport oder den „ÖROK-Fachempfehlungen zur Stärkung von Orts- und Stadtkernen“ ist die Stärkung der Orts- und Stadtkerne sowie der Baukultur vorgesehen. 

Ziel der Raumentwicklung und Raumordnung sind daher wirtschaftlich vitale Orts- und Stadtkerne mit inklusiven Strukturen, einer hochwertigen Architektur sowie einer baulichen Umwelt, in der sich die Menschen wohl fühlen, in der sie sich gerne aufhalten und die Inklusion für alle Nutzer:innengruppen ermöglichen. Das Bewusstsein für den Wert ästhetischer Qualität ist auch eine Voraussetzung für die Akzeptanz raumordnerischer Maßnahmen. Die österreichische Kulturlandschaft mit ihren Orten und Städten ist ein Schatz, den es zu erhalten, aber auch weiterzuentwickeln gilt. Dazu zählen lebendige multifunktionale Stadt- und Ortskerne mit einem funktionierenden Wirtschaftsleben genauso wie öffentliche Räume mit einer hohen Aufenthaltsqualität. Die Instrumente der Raumplanung und des Städtebaus können dazu einen wesentlichen Beitrag leisten.

Folgende Kernmaßnahmen und Arbeitsformate werden zur Umsetzung vorgeschlagen: 

  • Bestehende und gegebenenfalls neue Förderungen auf die erforderlichen Maßnahmen zur Stärkung der Orts- und Stadtkerne ausrichten.
  • Umsetzung der „ÖROK-Fachempfehlungen zur Stärkung der Orts- und Stadtkerne“ unter Berücksichtigung der unterschiedlichen länder- und regionsspezifischen Gegebenheiten forcieren.
  • Österreichweite Bewusstseinsbildungsmaßnahmen ausarbeiten.
  • Leitlinien/Orientierungen für Bewusstseinsbildung sowie partizipative Prozesse ausarbeiten und zur Verfügung stellen.
  • Diskussionsveranstaltungen abhalten, den Diskurs und Wissenstransfer in der Fachwelt und zur breiten Öffentlichkeit vermehrt unterstützen und forcieren, Medienarbeit vornehmen.
  • Studien und Konzepte zur ortsbildverträglichen Nachverdichtung insbesondere von Handels- und Gewerbestandorten erarbeiten (u.a. CO2-freie Erreichbarkeit, Reduktion versiegelter Flächen, mehrgeschossige Nutzungen, Online-Handel etc.) sowie Planungsprinzipien zur Stadt der kurzen Wege umsetzen.

Folgende unterstützende Maßnahmen und Arbeitsformate können zur Umsetzung beitragen:

  • Die Zweckmäßigkeit von Leitfäden zur Planung des öffentlichen (Straßen-)Raums im Rahmen der ÖREK-Partnerschaft „Plattform Raumordnung und Verkehr“ prüfen.
  • Neue Aktivitätsfelder in der Gemeindeberatung (z.B. regionale Manager:innen für Klimawandel-Transformation) etablieren und bereits bestehende intermediäre, regions- und gemeindenah agierende Beratungs- und Transferorganisationen (wie Klimabündnis, e5) unter gezielter Vernetzung mit bereits etablierten, regionalen Entwicklungsorganisationen der Länder (z.B. Regionalmanagements) stärken. 

„Für die ÖREK-Umsetzung ist die Raumsicht der Sektorpolitiken und ihrer Instrumente erfolgskritisch: Wohnbauförderung, Wirtschaftsförderung, Verkehrsmaßnahmen, Finanzausgleich und Bedarfszuweisungen dürfen nicht weiter zur Zersiedelung und Verkehrsbelastung beitragen, sondern müssen sich auf Flächensparen, Innenentwicklung und klimaresiliente Mobilität ausrichten.”

Sibylla Zech, Raumplanerin, TU Wien